Das Schulsystem muss aus den Händen von Staat und Wirtschaft befreit werden!

Das Schulsystem befindet sich seit der Industrialisierung in der Hand des Staates, der es in absolutistischer Tradition organisatorisch und inhaltlich bestimmt. Dabei wird die staatliche Pädagogik weitgehend einseitig aus den Vorgaben der Wirtschaft und aus staatlichen, parteipolitischen Interessen geprägt, welche die Jugend von früh auf zu brauchbaren Kräften im Wirtschaftsleben sowie zu guten Staatsdienern und folgsamen Untertanen vorbereiten. Diese Abrichtung der Kinder auf einen bestimmten gesellschaftlichen Zweck ignoriert ihr Bedürfnis nach allseitiger Entwicklung ihres Wesens. Die menschlichen und sozialen Folgen sind fatal. Eine aufdeckende Analyse.

Überholtes Schulsystem (Die Kinderflüsterei)

Die Begabungen und Fähigkeiten der Menschen in der Kindheit und Jugend auszubilden und zu fördern, ist man dem einzelnen Kind zur bestmöglichen Entfaltung seines Wesens schuldig. Wenn dies allseitig geschieht, werden auch die notwendigen Fähigkeiten entwickelt, welche die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft in Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Kunst und Religion benötigen, die ohne vielfältige kreative Fähigkeiten der nachwachsenden Generationen stehenbleiben und verkümmern würden.

Dabei sollte zentrale Einsicht alles pädagogischen Handelns sein, dass Fähigkeiten nur aus wirklicher Fach- und Sachkenntnis gefördert werden können, wie der Pädagoge Dr. Valentin Wember hervorhebt.1 Das scheint selbstverständlich zu sein, ist es aber in der gesellschaftlichen Praxis weitgehend nicht.
„Nur ein Schreinermeister kann einem jungen Menschen die Schreinerei beibringen, und nur eine gute Geigenpädagogin kann guten Geigenunterricht geben. Niemand käme auf die Idee, dass politische  Parlamente demokratisch darüber befinden könnten, was beim Geigenunterricht zu passieren hat. So trivial und selbstevident dieser Sachverhalt ist, so massiv wird gegen ihn verstoßen, wenn es um das gesamte Schul- und Bildungssystem geht.“ 2

Da wirken über die staatlichen Gesetze und Verwaltungsstrukturen, in die das Bildungssystem eingebunden ist, Politik und Wirtschaft mit ihren Interessen, also sachfremde Einflüsse massiv hinein.  
De facto sind die staatlichen Schulsysteme überall auf der Welt nach Vorgaben aus der Wirtschaft und der Politik gestaltet. (…) Von Natur aus nehmen wir Menschen die öffentlichen Schulsysteme als etwas Selbstverständliches und gleichsam Naturgegebenes hin. Aber genau das sind die Schulsysteme nicht. Sie wurden von Menschen gemacht, und ihre Ausrichtung verfolgt einen ganz bestimmten Zweck.“

Die Wurzeln des staatlichen Schulsystems

Wember geht nun ausführlich auf den „derzeit wohl bekanntesten Erziehungswissenschaftler der Welt“, den Briten Sir Ken Robinson (1950 – 2020) ein, der in seinem weltberühmten TED-Talk vom Februar 2006 3 darauf hingewiesen hat, dass es vor dem 19. Jahrhundert nirgendwo auf der Welt öffentliche Schulsysteme unter staatlicher Leitung gab.4 Erst in der Zeit der Hochindustrialisierung habe der Staat die Schulen in seine Lenkungen einbezogen.

„Beim Wandel der Agrargesellschaften in Industriegesellschaften wurden – so Ken Robinson – massenhaft Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler gebraucht, und der Staat nahm das Schulsystem unter seine Fittiche, um genau das sicherzustellen, … die Schulen so einzurichten, dass am Ende ausreichend viele Schüler in der Lage waren, Wissenschaftler oder Techniker oder Ingenieur zu werden. Das war – so Ken Robinson der Hauptzweck des Systems.“
Dazu wurde vor allem die logisch-mathematisch-wissenschaftlich-sprachliche Intelligenz gefördert.
„Die Folgen seien – so Ken Robinson – fatal: Millionen von Kindern, deren Begabung nicht auf dem Feld der logisch-mathematischen Intelligenz liegt, werden nicht angemessen entwickelt. Wer eine Begabung als Tänzer hat und über eine erstaunliche Bewegungsintelligenz verfügt (oder sonstige künstlerische oder handwerkliche Begabungen, hl) der ist in einem Schulsystem, das zu 90 Prozent die logisch-wissenschaftliche Intelligenz adressiert, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Bei Tieren würde man sagen, dass es sich nicht um eine ´artgerechte Haltung` handelt.“

Eine weitere Folge des einseitigen, aber weltweit dominanten staatlich-wirtschaftlichen Schulsystems sei, dass die dort praktizierten Lernmethoden die Kreativität der Kinder zerstören.
„Der Grund für diesen traurigen Sachverhalt liege im erzwungenen Lernen. Kinder müssen eine vorgegebene Menge an Stoff verdauen, ob sie sich dafür interessieren oder nicht. Es handele sich um intellektuelle Zwangsernährung. Diese zerstöre in einem viel zu großem Ausmaß die Kreativität, die so gut wie alle Kinder in ihrer Vorschulzeit noch besitzen. Nach zwölf Schuljahren sei bei den meisten Kindern von ihrer ursprünglichen Kreativität nicht mehr viel übrig. Sie sei zerstört worden durch erzwungenes Lernen und durch Lernen für Tests. Es muss zu viel gelernt werden, ohne dass man sich seelisch damit verbindet.“

Die einseitige und zunehmend normierte Form des Lernens bringe überdies ein Millionenheer von angepassten Menschen hervor. Mit ihnen allen wurde täglich eingeübt, den Vorgaben zu genügen, welche von den Bildungsministerien vorgeschrieben wurden.
„Dies alles aber habe sich so entwickelt, weil wirtschaftliche Interessen via Politik in das Erziehungswesen mit Vorgaben eingegriffen haben. Diese Vorgaben seien aber nicht aus der Natur der Kinder und ihrer Entwicklung abgelesen, sondern von außen den Kindern auferlegt.
Im Grunde sind sie übergriffig und in diesem Sinne manipulativ, denn ein Wesen zu etwas zu zwingen, was nicht seiner Natur entspricht, ist manipulativ.
Es liege darin keine böse Absicht, umso mehr aber Unkenntnis. Man weiß nicht, was man tut, wenn wirtschaftliche Vorgaben das Schulsystem präformieren, und man weiß nicht, welche versteckten Folgen (´Hidden Consequences`) das hat.“

Das Zeugnis also, schreibt V. Wember dazu, das der berühmteste Erziehungswissenschaftler der letzten Jahrzehnte den staatlichen Schulsystemen ausstelle, sei vernichtend. So etwas höre man nicht gern, wenn man als Lehrer darin arbeite. Niemand beiße die Hand, die ihn ernährt. (Abgesehen davon, dass dies seiner Karriere nicht gut tut.) Und so wie jedes Kind ganz selbstverständlich seinen Papa für gut halte, so gingen auch Millionen Pädagogen instinktiv davon aus, dass Papa-Staat im Prinzip gut sei, wenn er das Schulsystem gestalte. Einzelnes möge schlecht sein, aber doch nicht das ganze System.

Richtig und anerkennenswert sei, so, V. Wember, dass viele Lehrer durch ihr großes pädagogisches Ethos die Schäden abmildern, die Ken Robinson aufgezeigt habe.  Aber das ändere nichts an dem fatalen Sachverhalt, dass das Bildungssystem von Kind-fremden Interessen aus der Wirtschaft deformiert werde. Es sei nicht gut, wenn ein Kind für ein System passend gemacht werden soll, auch deshalb nicht, weil es immer das System der letzten Generation sei, das in die Zukunft hinein verlängert werde. (Und die Kinder so an die Vergangenheit bindet, hl)

Politische Interessen

Zu den Vorgaben aus der Wirtschaft, so Valentin Wember weiter, kamen (und kommen) immer politische Interessen hinzu. Im deutschen Kaiserreich sei es nicht nur darum gegangen, genügend Wissenschaftler hervorzubringen, sondern immer auch darum, die Jugend zu Monarchie-treuen Beamten, Soldaten und Untertanen zu erziehen, in kommunistischen Staaten zu guten Kommunisten, in faschistischen Staaten zu guten Faschisten und in Demokratien zu guten Demokraten.
Ohne Frage sei es ein enormer Unterschied, ob man Kinder zu guten Faschisten oder zu guten Demokraten bilden wolle. Aber aus übergeordneter Perspektive machten alle Staaten das Gleiche: Sie wollen die Kinder zu etwas machen. Sie wollen sie passend machen für ihr gesellschaftliches und politisches System, das sie – aus ihrer Perspektive – subjektiv für das beste halten.

„Kinder zu etwas machen zu wollen, ist grundsätzlich übergriffig, ganz gleich mit welchen noch so gut gemeinten Absichten. Diese Übergriffigkeit resultiert aus den Vorgaben aus Politik und Wirtschaft. Diese Vorgaben und Voreinstellungen machen das Erziehungs- und Bildungswesen unfrei. Frei wäre es nur dann, wenn man ausschließlich aus Menschenerkenntnis das Bildungssystem gestalten dürfte. … Im Grunde sollten deshalb nur vier Gruppen von Menschen über Erziehung und Bildung Ratschläge geben, was in der Schule zu berücksichtigen ist: Ärzte, Psychologen, Anthropologen und Pädagogen, aber gerade nicht die Wirtschaft und genauso wenig die Politik. Ärzte, Psychologen, Anthropologen und Pädagogen wissen, was für die Kinder und Jugendlichen geistig, seelisch und körperlich gesund ist. Sie können herausarbeiten, was die Kinder wirklich brauchen, um ihre Potentiale optimal entfalten zu können.“

Über das konkrete pädagogische Handeln jedoch sollte immer nur der Pädagoge selbst entscheiden, der mit den Kindern arbeitet, niemand sonst. Denn er ist der ausgebildete Fachmann, der seine Schüler am besten kennt, der weiß, was sie jetzt in ihrer Entwicklungsphase, die er konkret wahrnimmt, benötigen. Ratschläge können andere Fachleute geben, aber keine verbindlichen Vorgaben oder Gesetze, die für alle gelten sollen.

–  Das eben hebt die freie Persönlichkeitsentfaltung des Lehrers auf. Die Demokratie beruht darauf, dass jeder mündige Mensch die Fähigkeit zur Wirklichkeits- und Wahrheitserkenntnis hat und daraus seine beruflichen Tätigkeiten frei entfalten und sein Leben selbst bestimmen kann. Darin sind alle mündigen Menschen einander gleich. Jede hierarchische Überordnung Einzelner, die befehlen, was die Anderen in einem bestimmten Lebensbereich zu tun haben, ist im Grunde eine Anmaßung und Hypertrophie des eigenen Ego, das über andere Macht ausüben und es zum Objekt seines Willens machen will.Damit haben wir es im gegenwärtigen staatlichen Bildungssystem zu tun. –

Die sozialen Folgen staatlicher Bevormundung

Es muss noch weiteres ins Bewusstsein gehoben werden, auf das V. Wember eindringlich aufmerksam macht. Auch die Kinder werden in diesem von Staat und Wirtschaft dominierten System zu Objekten gemacht, sie werden als Mittel zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck behandelt. Der Zweck sind die Nachwuchskräfte in Wissenschaft und Industrie, das Mittel dazu sind die Kinder. Das verstößt elementar gegen die Würde des Menschen. In der Wirtschaft spricht man auch regelrecht vom „Human-Kapital“, das als Produktionsfaktor in der richtigen Weise  ausgebildet werden müsse.6 Das aber bleibt in den Seelen der Kinder unbewusst nicht ohne Folgen.

Wer als Kind geschlagen wurde, hat später als Erwachsener eine Disposition dazu, seine eigenen Kinder wieder zu schlagen. Wir reproduzieren als Erwachsene unbewusst aufgenommene Handlungsmuster der Kindheit. Das heißt, wer in der Kindheit als Mittel zum Zweck benutzt wurde, der trägt als Erwachsener die Disposition in sich, andere Menschen als Mittel für die eigenen Zwecke zu benutzen. (…) Das gilt auf der Makro-Ebene der Gesellschaft genauso wie auf der Mikro-Ebene der Beziehungen, z.B. der Partnerschaften. In ungezählten Partnerschaften geht es unbewusst darum, dass der Andere ein Mittel ist, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. (…) Auf der Makro-Ebene der Gesellschaft ist es für die Staaten der nördlichen Hemisphäre immer noch üblich, dass ganze Völkerschaften des Südens für den Norden die sogenannten „seltenen Erden“ in den Minen des Kongo abbauen oder unter unwürdigen Bedingungen unsere Hemden nähen. (…)

Eine der verborgenen Ursachen: Viel zu viele Menschen des Nordens verhalten sich deshalb so, weil sie selbst so behandelt worden sind. Als Kinder waren sie im staatlichen Schulsystem selbst ein Mittel zum Zweck. Das hat sie im biologischen Sinn tiefer geprägt, als sie ahnen.
Wenn ein Kind in der Schule – unbewusst oder bewusst – den Eindruck hat: ´Man interessiert sich hier gar nicht für mich als Mensch, sondern man interessiert sich nur für meine Leistung`, dann wird ein ungutes Muster veranlagt. Das Kind lernt: ´Nicht der Mensch als solcher ist wichtig, sondern er zählt vor allem als Mittel für Leistung`. Das ist die Lehre, die tief eingewurzelt wird. Im Erwachsenenalter wird sie dann reflexhaft wiederholt: ´Der Andere ist ein Mittel für meine Zwecke.` Exakt dieses Handlungsmuster prägt aber auf der Makro-Ebene unsere Weltwirtschaft.“

 Wie komme es dazu, fragt V. Wember weiter, dass z.B. ein Prozent der Weltbevölkerung fast so viel besitze wie die restlichen 99 Prozent. Rudolf Steiner habe darauf die Antwort gegeben: Das soziale  Verhalten der Erwachsenen hänge – neben anderen Faktoren – in einem erheblichen Ausmaß von der Art und Weise ab, wie man im Elternhaus und in der Schule erzogen worden ist. Das werde allerdings kaum je gesehen. „Man sieht nicht die Fäden zwischen dem, was Erziehung im Laufe der letzten Jahrhunderte geworden ist, und dem, was im sozialen Leben zerstörend, vernichtend, verheerend uns entgegenstürmt.“ 7

Rudolf Steiners Gedanke sei: Wenn es den Konsumenten eines modernen Staates insgesamt zu gleichgültig ist, unter welchen Lebensbedingungen diejenigen Menschen leben, die die Konsumgüter herstellen, dann liegen in der Regel mehrere Sachverhalte vor:

  1. Eine unreflektierte Bereitschaft, andere Menschen als Mittel für eigene Zwecke zu benutzen.
  2. Eine zu schwach ausgebildete Interesse-Kapazität für andere Menschen und für Zusammenhänge und Hintergründe.
  3. Zu wenig Mitgefühl.
  4. Ein Selbstwertgefühl, das sich mehr über das Besitzen und Haben als über das Tun und Sein definiert.
  5. Hat man zu wenig gelernt, vom Ganzen aus zu denken und zu fühlen.

Wember: Das alles passiere, weil die staatlichen Schulsysteme nicht aus einer gründlichen und tiefen Menschenerkenntnis heraus entwickelt werden, sondern nach wirtschaftlichen und politischen Vorgaben und verschiedenen kirchlichen Traditionen. Das aber heiße:
„Solange die Schulsysteme der modernen Welt gar nicht anders können, weil sie den Zielen aus Wirtschaft und Politik dienen müssen, solange werden weder einzelne Reformen des Wirtschaftssystems, noch der Druck von Revolutionären oder Aktivisten, noch lokale Gegenentwürfe flächendeckend bessere Verhältnisse schaffen können.“

 „Solange man nicht das Bildungssystem dem Einfluss der Wirtschaftsinteressen und der politischen Parteiinteressen in Gänze entzieht, so lange wird es zu keiner sozialeren Gestalt der Welt und zu keiner besseren Wirtschaftsordnung kommen. (…) Deshalb ist die Befreiung des Geisteslebens und insbesondere des Bildungssystems die mit Abstand wichtigste Voraussetzung für eine Gesundung der Gesellschaft. Immer noch und mehr denn je.“

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1   In seinem empfehlenswerten Buch „Dreigliederung“, Tübingen 2023, 4. Aufl., einer leicht verständlichen Einführung in die von Rudolf Steiner entwickelte „Dreigliederung des sozialen Organismus“
2   a.a.O. S. 35 ff.
3   Anm. 24 im Buch: „Der 18-minütige Vortrag wurde bis heute auf der Plattform TED mehr als 63 Millionen Mal angeklickt und ist in mehr als 60 Sprachen übersetzt worden. (Auf youtube sind weitere 18 Millionen Klicks verzeichnet.)“ https://www.ted.com/talks/sir_ken_robinson_do_schools_kill_creativity
4   Sie waren trotz absolutistischer Einheitsstaaten noch in der Hand der Kirchen.
5   Näher: https://fassadenkratzer.wordpress.com/2024/01/26/die-absolutistische-anmasung-des-staates-am-beispiel-der-landwirtschaft/
6   Vgl.: Der marktradikale Griff der EU nach der schulischen Bildung
7   Gesamt-Ausgabe (GA) 310, 10. Vortrag

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Siehe auch:

https://fassadenkratzer.wordpress.com/2013/12/20/das-staatliche-schulsystem-als-relikt-des-obrigkeitsstaates/

https://fassadenkratzer.wordpress.com/2017/06/16/allmaechtiger-staat-die-fesselung-des-bildungslebens/

Опубликовано lyumon1834

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