Eskalation in Nahost (II)

BERLIN/TEHERAN/TEL AVIV (Eigener Bericht) – Auch auf deutschen Druck bereiten die EU sowie mehrere G7-Staaten neue Sanktionen gegen Iran vor. Ursache ist Irans Angriff auf Israel vom vergangenen Wochenende – der erste, der direkt gegen israelisches Territorium gerichtet war. Gewaltsame Auseinandersetzungen führen Israel und Iran bereits seit vielen Jahren. Seit 2013, verstärkt seit 2017 greift Israel iranische Stellungen in Syrien an; seit dem 7. Oktober 2023 ermordet es dabei auch gezielt iranische Kommandeure, fast ein Dutzend allein bis Ende März. Mit dem Luftangriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus am 1. April, bei dem sieben teilweise hochrangige iranische Kommandeure zu Tode kamen, hat Tel Aviv laut der Einschätzung des Londoner Think-Tanks Chatham House „eine beispiellose Eskalation“ gestartet; diese könne sich noch als „der Funke“ erweisen, „der den Mittleren Osten in Brand setzt. Strafmaßnahmen verhängt der Westen dagegen nicht; auf Irans vorab kommunizierten Gegenschlag reagiert er jedoch mit Repressalien. Die doppelten Standards, die dabei einmal mehr zum Vorschein treten, werden international äußerst scharf kritisiert.

Cyberangriffe, Morde

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran dauern schon seit vielen Jahren an. So hat Israel immer wieder das iranische Atomprogramm sabotiert und dazu unter anderem teils umfassende Cyberangriffe (Stuxnet) durchgeführt sowie Morde an iranischen Atomwissenschaftlern verübt. Zugenommen haben die israelischen Angriffe auf iranische Ziele vor allem seit dem Jahr 2013. Damals begann Teheran, seine Unterstützung für Syriens Präsidenten Bashar al Assad zu nutzen, um über syrische Routen die libanesische Hizbollah mit Waffen zu beliefern und ihm nahestehende Milizen auch in Syrien selbst zu stärken – beides mit dem Ziel, proiranische Kräfte an Israels Nordgrenze in Stellung zu bringen. Israel hat immer wieder versucht, dies mit Luftangriffen zu verhindern. Dabei nahmen seine Luftangriffe besonders seit 2017 zu, dem Jahr, in dem sich Assads Regierung zu stabilisieren begann. Eine vom Washingtoner Middle East Institute (MEI) präsentierte Analyse zählt von 2013 bis August 2023 226 öffentlich dokumentierte israelische Luftangriffe auf iranische Ziele in Syrien.[1] Andere nennen weitaus höhere Zahlen.

Kommandeure im Visier

Eine neue Eskalationsstufe haben die Auseinandersetzungen nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 erreicht. Die Iran nahestehende Hizbollah begann sich erneute Kämpfe mit den israelischen Streitkräften zu liefern; die gleichfalls von Teheran unterstützten jemenitischen Huthi gingen im Roten Meer zu Angriffen auf Schiffe mit Beziehung zu Israel über. Beide verstehen dies als Unterstützungsmaßnahme für die Palästinenser im Gazastreifen und als Mittel, der Forderung nach einem Ende des Kriegs Nachdruck zu verleihen. Tel Aviv ging daraufhin dazu über, gezielt Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden bzw. der Quds-Brigade zu ermorden. Allein von Anfang Dezember bis Ende März kamen laut Zählung der US-Fachzeitschrift Foreign Affairs „fast ein Dutzend“ von ihnen durch israelische Angriffe ums Leben.[2] Am 25. Dezember brachte Israel durch einen Luftangriff den damals wohl mächtigsten aller iranischen Kommandeure in Syrien um, Sayyed Razi Mousavi.[3] Teheran musste faktisch zusehen, wie seine militärische Führungsriege in Syrien mit israelischen Luftangriffen systematisch eliminiert wurde.

„Eine beispiellose Eskalation“

Eine neue Qualität stellte dann der israelische Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus dar. Zum einen kamen dabei gleich sieben iranische Kommandeure zu Tode, unter ihnen Mohammad Reza Zahedi, ein Brigadegeneral der für Auslandsoperationen zuständigen Quds-Brigade, sowie sein Stellvertreter. Zum anderen traf der Angriff mit dem Konsulat ein Gebäude, das besonderen diplomatischen Schutz genießt; kriegerische Angriffe auf solche Einrichtungen sind selten und werden als besonders gravierend eingeschätzt. Der Londoner Think-Tank Chatham House konstatierte am 12. April, der israelische Luftangriff stelle „eine beispiellose Eskalation Israels gegen Iran“ dar; er könne, hieß es, „der Funke sein, der den Mittleren Osten in Brand steckt“.[4] Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja erklärte im UN-Sicherheitsrat, „ein Angriff auf eine diplomatische Mission“ könne sogar als „Casus Belli“ gewertet werden.[5] Davon abgesehen müsse Iran schon aus simplen praktischen Erwägungen auf den Angriff reagieren, hieß es in der Chatham House-Stellungnahme; denn wenn iranische Kommandeure nicht einmal in einer diplomatischen Vertretung sicher vor israelischen Bomben seien, seien sie dies nirgendwo.

Zu Gegenschlägen fähig

Die westlichen Staaten haben den israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus mit einem gewissen Stirnrunzeln, faktisch aber tatenlos hingenommen. Ganz im Gegensatz dazu haben sie mit scharfer Ablehnung und konkreten Maßnahmen auf Irans Reaktion in der Nacht von Samstag auf Sonntag reagiert. Iran griff Israel mit wohl deutlich mehr als 300 Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen an. Dass die meisten davon abgefangen werden konnten und nur eher geringe Schäden an einem israelischen Militärflugplatz entstanden, lag daran, dass Teheran die arabischen Nachbarstaaten wie die USA – Letztere vermittelt über die Türkei – über den Zeitpunkt des Angriffs informiert hatten. Dies ermöglichte es Israel, sich auf die Attacke einzustellen und nicht nur westliche (USA, Großbritannien, Frankreich), sondern auch arabische (Jordanien, Saudi-Arabien) Unterstützung bei der Abwehr des Luftangriffs zu organisieren. Ein entsprechender Bericht des iranischen Außenministers wurde unter anderem von türkischen Insidern bestätigt.[6] Teheran hat damit schwere, wohl einen Krieg auslösende Schäden in Israel vermieden, zugleich aber klargestellt, dass es, sofern seine roten Linien weiterhin überschritten werden, zu umfassenden Gegenschlägen fähig ist.

Neue Sanktionen

Die EU hat darauf reagiert, indem sie am Dienstagabend eine erneute Verschärfung ihrer Iran-Sanktionen angekündigt hat. Wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach einem Treffen mit den EU-Außenministern mitteilte, bereitet Brüssel eine weitere Einschränkung des Handels mit Iran vor.[7] Dafür hatte sich bereits am Montag Bundesaußenministerin Annalena Baerbock stark gemacht.[8] Baerbock sprach sich auch vor dem Treffen der G7-Außenminister auf Capri für neue Strafmaßnahmen gegen Teheran aus. Am gestrigen Donnerstag kündigten die USA und Großbritannien vor dem Hintergrund des G7-Außenministertreffens eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Iran an.[9] Israels Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus hingegen bleibt ohne Konsequenzen.

Mit zweierlei Maß

An den doppelten Standards, die sich darin äußern, wird scharfe Kritik laut. Russlands UN-Botschafter Nebensja etwa sprach von einer „Parade der Heuchelei“.[10] Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan konstatierte, der Westen messe da – einmal mehr – mit zweierlei Maß.[11] Während die iranischen Geschosse „in westlichen Hauptstädten moralische Empörung“ ausgelöst hätten, habe es „keine vergleichbare Verdammung des mörderischen Angriffs Israels auf Gaza“ gegeben, hieß es am gestrigen Donnerstag etwa in der pakistanischen Zeitung Dawn: „Diese doppelten Standards sind erschreckend.“[12]

[1] Navvar Şaban: Israel’s Response to Iran in Syria: Choosing Between Escalation and Accomodation. mei.edu 17.11.2023.

[2] Ali Vaez: The Middle East Could Still Explode. foreignaffairs.com 15.04.2024.

[3], [4] Haid Haid: The strike on Iran‘s consulate in Syria could be the spark that ignites the Middle East. chathamhouse.org 12.04.2024.

[5] Russian envoy calls UN Security Council meeting on Iran strike parade of hypocrisy. tass.com 14.04.2024.

[6] Iran told Turkey in advance of its operation against Israel, Turkish source says. reuters.com 14.04.2024.

[7] EU plant neue Iran-Sanktionen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.04.2024.

[8] Baerbock fordert Verschärfung der Sanktionen. deutschlandfunk.de 15.04.2024.

[9] Iran sanctions: US and UK extend measures against Tehran. bbc.co.uk 18.04.2024.

[10] Russian envoy calls UN Security Council meeting on Iran strike parade of hypocrisy. tass.com 14.04.2024.

[11] Erdogan accuses Western nations of double standards, blames Israel for escalation of Mideast crisis. msn.com 17.04.2024.

[12] Never-ending suffering. dawn.com 18.04.2024.

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9534

Опубликовано lyumon1834

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