Meuterer auf der Energiewende-Bounty

Es wird viel über den Rückbau der Gasnetze diskutiert. Bei den Kostenbetrachtungen wird aber meist vergessen: Wenn die eine Infrastruktur rückgebaut wird, muss eine andere her, die womöglich noch teurer – wenn überhaupt machbar ist.

Die indirekte Ankündigung aus Augsburg, dort demnächst „gemäß den geltenden Gesetzen“ die Gasnetze den veränderten Nutzungsbedingungen anpassen zu müssen, entfachte einige Empörung im Netz. Rückbau einer so wichtigen und gewachsenen Infrastruktur? How dare you! Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand aus der Riege der Energiewendeherolde zu Wort melden würde, um dem verdutzten Publikum zu erklären, dass dieser Rückbau nicht nur unausweichlich, sondern auch gut sei. Und jetzt kommt’s: Zum ersten Mal in so vielen Jahren muss ich Claudia Kemfert zustimmen. Zumindest in manchen Aspekten ihrer Analyse. In vielen anderen liegt sie leider meilenweit neben der Wirklichkeit. Aber der Reihe nach. In einem Gastbeitrag im Focus versucht Kemfert, den Rückbau unserer Gasnetze zu rationalisieren. Im Folgenden Zitate von Frau Kemfert und jeweils ein kurzer Kommentar dazu.

„Seit einiger Zeit gibt es viel Aufregung darum, was mit den Gasnetzen passiert, wenn im Zuge der Energiewende und der Erreichung der Klimaziele der Gasbedarf immer weiter zurückgehen wird.“

Wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass es sich bei diesen Klimazielen um rein politische Maßgaben handelt. Die Märkte wurden in diese Entscheidung nicht eingebunden. Weltweit geht der Gasbedarf nämlich nicht zurück, sondern steigt. Die Entscheidung, dass in Deutschland alles anders und künftig ohne Erdgas laufen müsse, ist kein Kind der Energiewende, sondern Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine, was unsere doppelbödige Energiewende von billigem russischem Gas abschnitt – wer auch immer den entscheidenden „Schnitt“ veranlasst hat.

Scheitern an einem Zeithorizont von zehn Jahren

Aber Gas war mal was Gutes in den Argumenten der Energiewender! Ich habe Nachbarn, deren neue Gasheizungen noch vor wenigen Jahren politikverbrieft und subventionsgeschmiert in eine energieeffiziente grüne Zukunft blickten. Unsere Regierung, die mit ihren Entscheidungen offenbar schon an einem Zeithorizont von zehn Jahren scheiterte, macht sich gleichzeitig auf, das Klima in 100 Jahren zu beeinflussen. Nun ja…

„Seit einiger Zeit gibt es viel Aufregung darum, was mit den Gasnetzen passiert, wenn im Zuge der Energiewende und der Erreichung der Klimaziele der Gasbedarf immer weiter zurückgehen wird.“

Und hier kommt dann noch wieder die Marktwirtschaft ins Spiel, denn wenn die Fixkosten des Netzbetriebs von immer weniger Teilnehmern getragen werden müssen, wird es natürlich für den einzelnen Kunden teurer. Die etwas Älteren werden sich noch an Zeiten erinnern, als Braunkohlebriketts vor die Häuser gekippt oder gleich in die Keller gebracht wurden. Dieses Netzwerk aus Lieferanten und Händlern ist so gut wie verschwunden, und auch wenn dieser „Rückbau“ sich vor allem im Wegfall von Arbeitskräften vollzog, war es doch ein Rückbau. Zum Betrieb eines Gasnetzes ist mehr nötig, als ein paar Rohre unter die Straße zu legen. Die Wartungsarbeiten sind kostspielig.

„Im Jahr 2045 werden in diesen Szenarien nur geringe Restmengen an Erdgas verbraucht. Das bedeutet zwangsläufig einen schrittweisen Rückbau der Gasnetze, da sich diese ohne signifikante Belastungen der Verbraucher nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen.“

Völlig richtig. Natürlich nur, falls die Politik an ihren zahlreichen „Ausstiegen“ festhält und auch weiterhin Physik und Ökonomie ignoriert. Lediglich das Argument der Wirtschaftlichkeit klingt aus dem Munde von Kemfert verdächtig scheinheilig, werden deren Wind- und Wunschprojekte doch sonst vor allem durch Subventionen angetrieben. Die Frage ist, wer für die Kosten des schrittweisen Rückbaus der Gasnetze aufkommen wird. Denn ob man eine Gasleitung aus dem Boden reißt oder sie instandhält, in beiden Szenarien entstehen Kosten. Die wirklich hinterhältigen Argumente kommen aber erst noch.

„Seit langem gibt es in Deutschland eine starke Gas-Lobby, die seit Jahrzehnten für Erdgas als so genannte „Brückentechnologie“ wirbt, ohne die es in Deutschland angeblich kalt werden und die Lichter ausgingen. Das stimmt natürlich nicht, da auch ohne Erdgas geheizt werden kann, beispielsweise mittels der sehr viel effizienteren Wärmepumpen oder mittels Fernwärme. Auch Strom kann ohne Erdgas hergestellt werden, vor allem aus erneuerbaren Energien. Dennoch war und ist die Strategie noch immer sehr erfolgreich, jüngst erkennbar an dem großen Aufschrei um die angebliche Vernichtung von „Volksvermögen“ bei Stilllegung der Erdgasnetze.“

Lobbyisten sind immer die Herolde der Anderen, klar soweit. Die „starke Gas-Lobby“ waren jedoch die grünen, roten und schwarzen Umgestalter selbst, die auch die „Brückentechnologie“ begrifflich geprägt haben. Baerbocks „das Netz ist der Speicher“ ist noch nicht so lange her, und auch Habeck, der Hausierer des „grünen Wasserstoffs“ als Ersatz für fossiles Erdgas, drückt fleißig die Türklingeln der Industrie und verteilt Milliarden an Subventionen. Aber mir ist eigentlich egal, welche ihrer Energiewende-Mitstreiter Kemfert hier in die Pfanne haut.

Gesehen, wie sie das Kaninchen aus dem Hut gezogen hat?

An das Publikum geht vielmehr die Frage: Hat jemand gesehen, wie sie gerade das Kaninchen aus dem Hut gezogen hat? Zisch, peng, der Rauch verzieht sich: Gas weg, Wärmepumpe da, Applaus…? Nichts bemerkt? Schauen wir in einem Beispiel mal etwas genauer hin.

Nehmen wir mal vereinfachend an, Sie verbrauchen als Person pro Monat 1.000 Einheiten Energie in allen erdenklichen Formen. Natürlich brauchen Sie warmes Wasser und müssen im Winter heizen, das macht vielleicht 300 Einheiten aus. Sie benutzen Transportmittel wie Bahn, Flugzeug oder Auto – macht nochmal 200. Dann möchten Sie es in ihrem Heim gern hell haben, der Fernseher läuft, der Kühlschrank…100 Einheiten. Die restlichen 400 Einheiten fließen in die Güter und Dienstleistungen, die Sie konsumieren und nutzen. Das Brot muss gebacken und die Theaterbühne beleuchtet werden, der Computer in Flensburg, der ihre Punkte sammelt, muss laufen, der Bundestag tagt und ihre Amazon-Bestellung… nun, Sie wissen, was ich meine. Alle diese Energieverbräuche laufen in Netzen ab, ob sie nun Straßen, Gasleitungen oder Stromkabel sind.

All diese Netze haben aus Kostengründen und mit gewissen Sicherheiten nur so große Kapazitäten, wie eben benötigt wird. Baut man ein Netz zurück, müssen die 300 Einheiten Energie auf anderen Netzen zu uns, den Verbrauchern, kommen. Die Energie, welche die Gasnetze transportieren, wird ja weiterhin benötigt. Und auch wenn eine Kilowattstunde Gas nicht so effektiv heizt wie eine Kilowattstunde Strom in einer optimal laufenden Wärmepumpe, muss der Strom für letztere zusätzlich durch Netze fließen, die der Aufgabe bereits jetzt kaum noch gewachsen sind.

Genau genommen haben wir es durch den Rückbau der Gasnetze also mit gleich drei zusätzlichen Belastungen für Verbraucher und Steuerzahler zu tun: 1) zurückgehender Bedarf verteuert den Betrieb der Gasnetze und die Kosten für die verbliebenen Kunden, 2) die Kosten für den Rückbau der Gasleitungen muss jemand tragen und 3) der Ausbau der Kapazitäten des Niederspannungsnetzes, das ja die Verteilung der „letzten Meile“ zum Verbraucher und dessen Wärmepumpen und Ladesäulen übernehmen soll, wird weitere dreistellige Milliardenbeträge kosten. Ganz zu schweigen von den Kraftwerkskapazitäten zur stabilen, bedarfsgerechten Erzeugung der Energie, die wir leider auch nicht haben. Und es versteht sich von selbst, dass man erst das eine Netz ausbauen sollte, bevor man mit dem Rückbau des anderen beginnt.

„Zu allem Überfluss werden Unsicherheiten geschürt durch das Versprechen, dass Gasnetze weiter betrieben werden könnten, wenn statt Erdgas Wasserstoff zum Einsatz kommt. Dies ist allerdings sowohl technisch als auch ökonomisch unsinnig. Rein technisch gesehen, kann eine existierende Erdgas-Infrastruktur nicht einfach mit Wasserstoff genutzt werden. Das liegt an der geringeren Energiedichte, höheren Flusswiderstand und der korrosiven Wirkung von Wasserstoff. 

Die angebliche „Wasserstoff Readyness“ von Gas-Infrastruktur samt Anlagen ist ein Mythos. Zudem muss Wasserstoff aufwändig hergestellt werden, dazu sind große Mengen an Ökostrom und Wasser notwendig. Der Einsatz von Wasserstoff im Wärmebereich ist ineffizient und zu teuer, wie mittlerweile mehr als 50 unabhängige Studien belegen. Es handelt sich eher um ein Blendwerk als um eine realistische Option.“

Auch hier muss ich Kemfert zustimmen. Nur reden wir Kritiker der Energiewende uns schon seit Jahren den Mund fusselig über die Unverträglichkeit von Wasserstoff mit unseren Gasnetzen in der Fläche. Mehr als Beimischungen im Bereich von ein paar Prozent sind nicht drin. Kemferts Messer blitzt schon wieder auf, wenn sie von der „angeblichen Wasserstoff Readyness“ spricht, mit der die Heizungsbranche, befeuert von grünen Versprechen, die Verbraucher seit einiger Zeit hinter die Fichte führt. Der Wasserstoff wird nie in den Wohnungen ankommen – und grün wird der schon mal gar nicht sein.

„Statt ins existierende Erdgasnetz sollte besser in die Umstellung investiert werden. Jeder Euro, der jetzt noch in vergangene, veraltete Technologien investiert wird, fehlt für Investitionen in echte Zukunftstechnologien.“

Ohne ein bisschen Ideologie geht es dann aber doch nicht bei Frau Kemfert, die uns verkaufen möchte, dass durch den Wegfall der Gasnetze Kapital für Investitionen freiwürde. Doch wir ersetzen lediglich einen Weg des Energietransfers durch einen anderen, welchen wir zunächst erst mal entsprechend ausbauen müssen. Es handelt sich also um eine technologische Verengung der Möglichkeiten durch staatlich-ideologische Eingriffe in funktionierende Strukturen.

Früher hätte man das Plan- oder Kommandowirtschaft genannt. Ich gehe für meinen Vergleich noch etwas weiter und nenne es in Anlehnung an die Meuterei auf der Bounty die „Fletcher-Christian-isierung“ der Energiewende, denn der ließ die Bounty verbrennen, als er und seine Männer auf Pitcairn angekommen waren. So läuft es auch in der Energiewende durch Technologieverbote, Kraftwerks-Stilllegungen und Netzrückbau.

Manchmal ist es aber ganz praktisch, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Manchmal ist auch ein Schiff recht nützlich, wenn man auf einer einsamen Insel festsitzt. Oder wenn man einen Inlandsflug nehmen kann, während der Bahnstreik läuft. Wenn ein Auto vor der Tür steht und die Straßenbahn nicht fährt oder der April mal wieder zu kalt für Fahrrad und Klimawandel ist. Und natürlich wäre auch ein intaktes, wirtschaftlich betriebenes Gasnetz als Alternative zur gepredigten Wärmepumpe eine feine Sache, falls die Netzgebühren wegen des massiven Ausbaus der Stromnetze mal durch die Decke gehen sollten.

Roger Letsch, Jahrgang 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de, wo dieser Text zuerst erschien.

https://www.achgut.com/artikel/meuterer_auf_der_energiewende_bounty

Опубликовано lyumon1834

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